Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) zum Anleihekaufprogramm der Europäischen Zentralbank (EZB) ist bei Experten im Bundestag auf erhebliche Kritik gestoßen. In einer öffentlichen Anhörung des Europaausschusses sprachen zahlreiche Sachverständige von einer Kompetenzüberschreitung der Karlsruher Richter und warnten den Bundestag davor, den Konflikt zwischen BVerfG und dem Europäischen Gerichtshof infolge des Urteils weiter eskalieren zu lassen. Viele Argumente, die Heribert Hirte bereits in seiner „Ad-hoc-Analyse“ des Urteils zusammengefasst hatte, fanden auch Erwähnung durch die Experten. Einige Stimmen der Experten: „Die europäische Rechtsgemeinschaft steht auf dem Spiel“, urteilte Prof. Dr. Franz C. Mayer von der Universität Bielefeld. Auch bliebe für Bundestag und Bundesregierung „rätselhaft“, was das Bundesverfassungsgericht von ihnen verlange. Von einem „Fehlurteil“ sprach Prof. Dr. Bernhard W. Wegener von der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg. Indem das Bundesverfassungsgericht die europäischen Kompetenzen einhegen wolle, überziehe es seine eigenen „in eklatanter Art und Weise“. Der im Urteil aufgeworfene Maßstab der Verhältnismäßigkeit sei in einer Rechtsgemeinschaft zudem „an jeder Stelle und zu jedem Zeitpunkt“ streitbar. Prof. Dr. Christian Walter (Ludwig-Maximilians-Universität München) sprach wegen der Verpflichtung auf die Unabhängigkeit der EZB von einer „heiklen politischen und rechtlichen Situation“ für den Deutschen Bundestag. Das BVerfG nehme das Parlament in die Pflicht, weil ihm selbst die „Kassationsbefugnis gegenüber den Rechtsakten der EU fehle“. Dies stelle eine „weitgehende Instrumentalisierung von Verfassungsorganen“ dar. Walter betonte, die Reaktion der Abgeordneten könne nicht über eine „vorsichtig formulierte Bitte“ hinausgehen. Auch Prof. Dr. Claus-Dieter Classen von der Universität Greifswald warnte, das Urteil habe das Potenzial, eine „große Krise“ auszulösen. Kritischer gegenüber der EZB und der Rolle des EUGH äußerten ich Prof. Jürgen Rocholl von der European School of Management and Technology und Prof. Dr. Dirk Meyer von der Helmut-Schmidt-Universität in Hamburg. Rocholl wertete das Urteil als „Sprengstoff“ für weitere Aktionen der EZB und warnte davor, das Mandat der EZB zu weit auszulegen. Deren Rolle sei in den vergangenen Jahren immer größer geworden, sodass eine Überforderung drohe.
Die ganze Anhörung können Sie hier ansehen, die Nachfragen von Heribert Hirte an die Experten werden ab dem Zeitcode 01:54:40 beantwortet.