Der Tod ist wieder im Geschäft


Der Tod ist wieder im Geschäft

„Wer in der Absicht, die Selbsttötung eines anderen zu fördern, diesem hierzu geschäftsmäßig die Gelegenheit gewährt, verschafft oder vermittelt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren bestraft.“

Seit rund vier Jahren leitet dieser Absatz den Paragrafen 217 im Strafgesetzbuch (StGB) ein; seit rund vier Wochen hat er seine Gültigkeit verloren. Was Heribert Hirte und die Bundestagsabgeordneten im Jahr 2015 gemeinsam in einem außerordentlich intensiven und fraktionsübergreifenden Gesetzgebungsprozess ausgehandelt hatten, wurde am Aschermittwoch durch das Bundesverfassungsgericht für nichtig erklärt, weil es gegen das Recht auf ein selbstbestimmtes Sterben verstoße. Das Urteil ist ein tiefgreifender Einschnitt, weil die geschäftsmäßige Beihilfe zur Selbsttötung somit keine Straftat mehr sein darf. Zwar dürfe der Gesetzgeber regulierend das Strafrecht einsetzen, aber dort, wo die freie Entscheidung unmöglich gemacht werde, ende dieses Recht, sagte Gerichtspräsident Andreas Voßkuhle zur Begründung.

Das Grundgesetz schützt in Artikel 2 das Recht jedes Menschen auf „die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit“, was nach Ansicht der Richter das Recht einschließt, frei über den Zeitpunkt des eigenen Todes zu bestimmen. So führt das BVerfG in seiner Urteilsbegründung aus: „Dieses Recht besteht in jeder Phase menschlicher Existenz. Die Entscheidung des Einzelnen, dem eigenen Leben entsprechend seinem Verständnis von Lebensqualität und Sinnhaftigkeit der eigenen Existenz ein Ende zu setzen, ist im Ausgangspunkt als Akt autonomer Selbstbestimmung von Staat und Gesellschaft zu respektieren.“ Mehrere Quellen berichteten, wie nach dieser Urteilsverkündung im dicht besetzten Sitzungssaal in Karlsruhe Applaus aufgebrandet sei. „Ein äußerst seltener und vor allem höchst befremdlicher Vorgang“, wie Heribert Hirte anmerkt, der das Urteil bedauert.

Heute hat das Bundesverfassungsgericht das Verbot der geschäftsmäßigen Beihilfe zur Selbsttötung (§ 217 StGB) für…

Gepostet von Ansgar Heveling am Mittwoch, 26. Februar 2020

Einige der Befürworter des Urteils meinten jedoch, dass es bei der Ärzteschaft zu einem Umdenken führe, Sterbewillige bei diesem letzten Gang zu helfen. Dabei ist es so, dass die Mediziner und Sterbebegleiter diesem Wunsch längst nachgekommen sind, auch ohne für die Verabreichung tödlicher Medikamente bezahlt worden zu sein. Nun „ist die Tür zur geschäftsmäßigen Sterbehilfe wieder offen“, schrieb Heribert Hirtes Fraktionskollege Ansgar Heveling in einer ersten kritischen Reaktion auf Facebook. Für jeden, in jedem Lebensalter, aus jedem Anlass und zu jeder Zeit. Ziel des §217 StGB war es zu verhindern, dass sich die Beihilfe zum Suizid hin zu einem Dienstleistungsangebot der gesundheitlichen Versorgung entwickelt. Für die Abgeordneten war die Korrektur dort erforderlich, wo geschäftsmäßige Angebote die Suizidhilfe als normale Behandlungsoption erscheinen lassen und Menschen dazu verleiten können, sich das Leben zu nehmen. Über alle Fraktionen hinweg sahen die Abgeordneten eine drohende „gesellschaftliche Normalisierung“, einen „Gewöhnungseffekt an solche organisierten Formen des assistierten Suizids“. Und schrieben in dem Gesetzentwurf 2015: „Insbesondere alte und/oder kranke Menschen können sich dadurch zu einem assistierten Suizid verleiten lassen oder gar direkt oder indirekt gedrängt fühlen.“ Dieser Gesetzentwurf erhielt schon im ersten Wahlgang die absolute Mehrheit im Parlament. Auch Bundeskanzlerin Merkel hatte sich öffentlich für diesen Gesetzentwurf ausgesprochen. Auf der Bundestagung des Evangelischen Arbeitskreises der CDU im Sommer 2015 sagte sie: „Wir wünschen uns allen, dass wir ein Leben ohne Leid und Schmerzen haben, aber wir dürfen ja nicht, weil dies unser gemeinsamer Wunsch ist, der Versuchung erliegen, Leid und Schmerzen aus dem öffentlichen Leben verbannen,“ und stellt schließlich fest: „Es darf mit dem Tod und dem Sterben kein Geschäft gemacht werden, das ist das Credo.“

Mit Blick auf das Grundrecht auf Leben wollte man dem mit den Mitteln des Strafrechts entgegenwirken. Ausdrücklich nicht kriminalisiert wurde die Suizidhilfe, die im Einzelfall in einer schwierigen Konfliktsituation gewährt wird. Ebenso klammerte der Gesetzentwurf Angehörige „oder andere dem Suizidwilligen nahestehende Personen“ von der Strafbarkeit aus, was sich auch in Absatz 2 des §217 widerspiegelte: „Als Teilnehmer bleibt straffrei, wer selbst nicht geschäftsmäßig handelt und entweder Angehöriger des in Absatz 1 genannten anderen ist oder diesem nahesteht.“ Das Bundesverfassungsgericht hat diesen gesamten Paragrafen für nichtig erklärt, und diese Entscheidung ist zu respektieren. Nun liegt die Verantwortung allerdings erneut beim Gesetzgeber (und damit auch bei den Abgeordneten), zu überlegen wie Sterbehilfe in Zukunft anders geregelt werden muss. Die Hoffnung, auf die anderen, ebenfalls 2015 im Bundestag diskutierten Gesetzentwürfe zurückgreifen zu können, hat das BVerfG bereits zerstört. Auch diese sind nach dem aktuellen Urteil verfassungswidrig. Erste Vorschläge zu einem neuen Sterbehilfegesetz kursieren bereits. So sei beispielsweise eine „umfassende Beratung“ Suizidwilliger nötig, ähnlich wie dies schon bei Frauen geschieht, die eine Abtreibung vornehmen wollen. Das halten auch die Richter des Bundesverfassungsgerichts für zwingend notwendig, weil der Todeswunsch wechselhafter Natur seien könne. Was zeigt, wie beeinflussbar ein Mensch in einer solchen Notlage sein kann.

Nach Einschätzung von Prof. Dr. Steffen Augsberg von der Justus-Liebig-Universität in Gießen sei die Aufgabe, in dieser Fragestellung zu einer verfassungskonformen Gesetzgebung zu kommen, durch das BVerfG selbst schlicht unlösbar gemacht worden. Er kritisiert: „Konsequenterweise hätte das Urteil eine ‚flächendeckende Grundversorgung‘ mit Suizidassistenz einfordern müssen. Stattdessen endet es mit der genannten, der zuvor bemühten Begründungsstrategie zuwiderlaufenden Aussage, eine ‚Verpflichtung zur Suizidhilfe‘ dürfe es nicht geben.“ Dass im Bundestag zwei Jahre lang intensiv um die beste Lösung gerungen wurde, um auf der einen Seite die Autonomie und auf der anderen Seite das Leben zu schützen, würdigte das Bundesverfassungsgericht mit diesem einschneidenden Urteil kaum. Dies bemängelte Heribert Hirte auch öffentlich in einem Tweet.

Und so bleibt nur zu hoffen, dass diese Entscheidung der Richter nicht eines Tages dazu führt, dass die geschäftsmäßige Suizidhilfe von unserer Gesellschaft als normales Behandlungsangebot wahrgenommen wird. Denn für Heribert Hirte und viele seiner Abgeordnetenkollegen der CDU/CSU-Bundestagsfraktion steht fest, dass die Verfassung den lebenden Menschen schützt. Heilung, Leidminderung und die helfende Begleitung von Menschen in lebensbedrohlichen Situationen sind für ihn Ausdruck von Humanität, Solidarität und der im christlichen Glauben begründeten Nächstenliebe.

Hier geht es zur Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts. 

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