Gastbeitrag Manfred Weber: Europa am Scheideweg: Wir brauchen Europa, Europa braucht uns!


Gastbeitrag Manfred Weber: Europa am Scheideweg: Wir brauchen Europa, Europa braucht uns!

Dieser Gastbeitrag stammt aus der 6. Ausgabe der Stephanuspost. Diese finden Sie als PDF hier: Stephanuspost_6. 

Das erfolgreichste Friedens- und Wohlstandsprojekt auf unserem Kontinent ist in Gefahr. Das linke politische Spektrum möchte Europa umbauen, rechte Populisten und Nationalisten das europäische Integrationsprojekt beenden. Beide Seiten versuchen, Europa auseinanderzutreiben und zu polarisieren. Rechte Populisten wie auch Nationalisten spalten lieber, anstatt zu einen. Einige von ihnen wollen das Europäische Parlament abschaffen – andere wollen gar das europäische Projekt im Ganzen beenden. All das hat nichts mit Heimatverbundenheit oder einem gesunden Patriotismus zu tun, der Respekt vor dem Patriotismus des Nachbarlandes hat. All das wendet sich gegen den Zusammenhalt unserer Gemeinschaft, gegen das Miteinander, gegen den Kompromiss als Mittel der Politikgestaltung.
All das ist nichts anderes als ein zerstörerischer Nationalismus.

Das 21. Jahrhundert ist geprägt von Veränderung. Eine nie dagewesene Beschleunigung hat Gesellschaft, Wirtschaft und Politik erfasst. Wandel wird die neue Normalität – und weckt damit neue Ängste. Es sind die Ängste vor Verlust: des sozialen Status, der kulturellen Identität oder des staatlichen Sicherheitsversprechens. Das fordert den Zusammenhalt in unserem Land heraus und macht die Frage aktuell, was uns im Kern verbindet an Werten, Leitbildern und Ordnung.

Das Wertefundament Europas

Wir brauchen starke geistige, wertgebundenen Wurzeln. Gerade in Zeiten des Umbruchs und der tiefen Verunsicherung braucht es diese Leitplanken für Stabilität. Wer durch Europa reist,
erlebt eine große Vielfalt an Sprachen, Kulturen und Geschichte. Jedoch gibt es eine übergreifende Gemeinsamkeit: In fast jeder Stadt und fast jedem Dorf steht eine christliche Kirche.

Dieser Kontinent ist zutiefst vom Christentum geprägt. Diese Prägung zeigt sich in vielen Aspekten unserer Institutionen: Die Soziale Marktwirtschaft ist Ausdruck der Solidarität einer Gemeinschaft dem Einzelnen gegenüber, unsere Alltagskultur lebt von christlichen Traditionen, und unser Rechtssystem fußt auf einem christlichen Wertekanon, geprägt von Humanismus und Aufklärung. All das stiftet Zusammenhalt, ohne auszugrenzen. Die Verwurzelung im Eigenen macht weltoffen: Sie steht nicht im Widerspruch zur Offenheit, sie ist vielmehr Voraussetzung für diese Weltoffenheit. All das gilt es zu erhalten und zu pflegen.

Das christliche Leitbild

Aber es steht noch mehr auf dem Spiel – wir stehen vor einem entscheidenden Jahrzehnt, das bestimmt, welche Systeme sich weltweit verbreiten. Wir stehen dabei klar an der Seite der Werte des Westens – Demokratie, Freiheitsrechte und Rechtsstaatlichkeit. Die Universalität der Menschenrechte leitet sich auch aus dem christlichen Menschenbild ab und der unteilbaren Würde des Einzelnen. Wir müssen für diese Werte selbstbewusst einstehen. Das leitet uns in einer klugen Handelspolitik, die soziale wie ökologische Leitplanken kennt und sie in den Welthandel exportiert. Das leitet uns im Bestreben nach multilateralen Lösungen, statt auf Konflikt, Egoismus und Einzelinteressen zu blicken. Das leitet uns in Fragen der Innovationen, die wir fördern wollen – und die dem Menschen dienen sollen. Ein Anliegen liegt mir hier besonders am Herzen: Ich möchte die Kräfte bündeln, um die Volkskrankheiten Krebs
und Alzheimer gemeinsam zu stoppen. Das kann gelingen, wenn wir in Europa unsere Ressourcen und Ziele beim Kampf gegen Krebs besser abstimmen, bündeln und einen Masterplan entwerfen. Wir sollten alle Kräfte zusammenführen, um diese Geißel unserer Zeit zu bekämpfen. Das sind Innovationen zum Wohl der Menschen. Für mich gehört zu dieser Liste auch das klare Bekenntnis: Eine Vollmitgliedschaft der Türkei in der EU wird es mit uns nicht geben.

Europa baut auf den Werten der Freiheit, der Rechtsstaatlichkeit und des christlichen Menschenbilds auf – und es muss seine Grenzen kennen. Wer, wenn nicht Europa, kann zeigen, dass die Soziale Marktwirtschaft auch im 21. Jahrhundert erfolgreich wirtschaftliche Prosperität und Solidarität zusammenbringen kann? Wer, wenn nicht Europa, setzt auf das Mittel der Diplomatie statt auf Eskalation? Wer, wenn nicht Europa, kann und sollte versuchen,
die Welt immer ein kleines Stück besser zu machen? Europa steht am Scheideweg. Für mich steht daher fest: Wir brauchen Europa, und Europa braucht uns! Wir machen ein Angebot: Für ein Europa, das nah bei den Menschen ist. Für ein bürgerliches Europa, das seine Wurzeln kennt und achtet.

 

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