Stellungnahme der Arbeitsgruppe Recht und Verbraucherschutz der CDU/CSU-Bundestagsfraktion zum geplanten Legislativentwurf der EU-Kommission über Unternehmensinsolvenzen


Diese Stellungnahme wurde erstmalig veröffentlicht in „Nichts ist beständiger als der Wandel; Festschrift für Klaus Pannen zum 65. Geburtstag (Verlag C.H. Beck)“; hier auszugsweise als PDF zu finden: Stellungnahme AG Recht und Verbraucherschutz CDU_CSU_Bundestagsfraktion zum geplanten Legislativentwurf der EU-Kommission über Unternehmensinsolvenzen

Im Mittelpunkt dieses Beitrages sollen aber die – eher grundsätzlichen – Über­legungen stehen, die die Arbeitsgruppe Recht und Verbraucherschutz der CDU/ CSU-Bundestagsfraktion zum geplanten Legislativentwurf der EU-Kommission über Unternehmensinsolvenzen angestellt hat. Kurz vor der bereits erwähnten Ta­gung positionierte sich die Arbeitsgruppe, beruhend auf Vorarbeiten des Unter­zeichners, wie folgt:

„Die Europäische Union ist einer der wirtschaftsstärksten Wirtschaftsräume der Welt. So ist das aggregierte Bruttoinlandsprodukt der Mitgliedstaaten in 2015 auf Euro-Basis um 1,7% gegenüber dem Vorjahr gestiegen. Auch ist die Erwerbstätigenquote der Bevölkerung von 20 bis 64 Jahre in 2015 auf nun über 70% gestiegen. Dieses Wachstum ist sowohl den Anstrengungen der einzelnen Mitgliedstaaten wie auch der Europäischen Union geschuldet.

Auch wenn die Zahl der Unternehmensinsolvenzen vor allem in Deutschland, aber auch in anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union stetig sinkt, bedarf es effizienter und sozial gerechter Gesetze, um die Behandlung von Unternehmen und Verbrauchern in einer wirtschaftlichen Krise sicherzustellen.

Aufgabe eines Insolvenzrechts muss dabei der faire Ausgleich zwischen den In­teressen von Schuldnern, Gläubigern und der gesamten Volkswirtschaft sein. Wäh­rend einerseits durch zu gläubigerfreundliche Regelungen ein zweiter Start unmög­lich gemacht werden kann, führen Regeln, die Schuldner übermäßig bevorzugen, dazu, dass die Kreditvergabe und der Handel deutlich beeinträchtigt werden.

Jeder Eingriff in Gläubigerrechte, wie er zu diesem Zweck durch ein Insolvenz-verfahren durchgeführt wird, bedarf einer verfassungsrechtlichen Rechtfertigung und einer richterlichen Kontrolle. Unter anderem deshalb hat sich der Deutsche Bundestag im Rahmen des Gesetzes zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen (ESUG) im Dezember 2011 dagegen entschieden, ein vor-insolvenzliches Verfahren einzuführen, das schon vor Eintritt der Insolvenzreife zu Ein­schnitten bei Gläubigerrechten führen kann.

Auch ist die Frage, ob einzelnen Gläubigergruppen Vorrechte eingeräumt wer­den, hochkomplex und kann nur im Kontext der übrigen nationalen Sozial- und Steuergesetzgebung beantwortet werden. Im Gegensatz zu anderen Mitgliedstaaten hat sich der Deutsche Bundestag mit der Verabschiedung der Insolvenzordnung 1994 bewusst für die Abschaffung von Privilegierungen einzelner Gläubigergruppen entschieden.

Gerade aufgrund des in den letzten Jahren noch weiter vertieften Binnenmarktes sind heute Insolvenzen häufig nicht mehr ohne internationalen Bezug denkbar. Hier wurden im Bereich des grenzüberschreitenden formalen Insolvenzrechts aufgrund der Verordnung (EU) 2015/848 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20.5.2015 über Insolvenzverfahren bereits neue Regelungen geschaffen, die die durch Forum Shopping verursachten Verwerfungen des Binnenmarktes aber be­reits weitgehend unterbinden.

Die Europäische Kommission hat nun am 30.9.2015 einen Aktionsplan zur Schaf­fung einer Kapitalmarktunion vorgelegt (KOM(2015) 468 final). Im Rahmen dieses Aktionsplanes adressiert sie auch die Verwirklichung des Binnenmarktes, dem noch zahlreiche langdauernde, tief verwurzelte Hürden entgegenstünden, die im einzel­staatlichen Recht etwa auch das Insolvenzrecht umfassten.

Diese Hürden seien trotz der am 12.3.2014 veröffentlichten Empfehlung der Kom­mission für einen neuen Ansatz im Umgang mit unternehmerischem Scheitern und Unter­nehmensinsolvenzen (C(2014) 1500 endg.) nicht in ausreichendem Maße von den Nationalstaaten auf freiwilliger Basis angegangen worden.

So liegt immer noch der einfache EU-Durchschnitt in Bezug auf die Rahmen­bedingungen des Insolvenzrechts im „Doing-Business“-Bericht 2015 der Weltbank auf einer Skala von 0-16 bei 11,6 und damit um 5% unter dem OECD-Durch­schnitt für Länder mit hohem Einkommen (12,2); einige Mitgliedstaaten wurden sogar nur mit weniger als 8 Punkten bewertet.

Die Bundesrepublik Deutschland hingegen liegt jedoch mit ihrem zuletzt 2009 durch das ESUG reformierten Unternehmensinsolvenzrecht auf Platz drei der welt­weiten Rangfolge hinter Finnland und Japan; das deutsche Insolvenzrechtsregime wurde von der Weltbank mit 15 Punkten als genauso stark bewertet wie das sonst als beispielhaft angesehene System der Vereinigten Staaten von Amerika.

Nationale Unterschiede im Insolvenzrecht könnten nach Ansicht der Europä­ischen Kommission zu Unsicherheiten in Bezug darauf führen, wer im Fall eines Ausfalls Eigentümer einer Sicherheit ist und wessen Ansprüche im Fall einer Insol­venz Vorrang haben. Unsicherheiten in solchen grundlegenden Fragen stellten be­deutende rechtliche Risiken dar, etwa im Hinblick auf die Durchsetzbarkeit von Si­cherheiten, und sie könnten die Widerstandsfähigkeit der grenzübergreifenden Abwicklung und Sicherheitenströme gefährden.

Die Kommission vertritt zudem die Position, dass konvergente Insolvenz- und Restrukturierungsverfahren zu mehr Rechtssicherheit für grenzüberschreitende Anleger beitragen würden und einer frühzeitigen Restrukturierung tragfähiger Unternehmen, die sich in einer finanziellen Notlage befinden, förderlich wären. Die Teilnehmer einer von der Europäischen Kommission durchgeführten Konsul­tation waren sich weitgehend einig, dass sowohl die Ineffizienz als auch die Diver­genz der Insolvenzgesetze Anlegern eine Bewertung des Kreditrisikos, insbesondere bei grenzübergreifenden Investitionen, erschwere.

Im Rahmen ihres Aktionsplans kündigt die Europäische Kommission nun einen Legislativentwurf über Unternehmensinsolvenzen zur Beseitigung der wichtigsten Hindernisse für den freien Kapitalverkehr für das 4. Quartal 2016 an.

Schwerpunkte dieses Legislativentwurfs sollen zum einen die Erleichterung eines zweiten Starts sowohl für Unternehmer wie auch für Verbraucher und zum anderen Regelungen für ein vor-insolvenzliches Sanierungsverfahren für Unternehmen bil­den.

Zur Vorbereitung dieses Legislativentwurfs wurde bis zum 14.6.2016 eine zwölfwöchige europaweite Konsultation durchgeführt, deren Ergebnisse derzeit ausgewertet werden. Bei dieser Konsultation wurde u. a. nach den Auswirkungen von verschiedenen Regelungen auf den Binnenmarkt und nach der Notwendigkeit europäischer Gesetzgebung gefragt, nicht jedoch die Möglich4it geboten, die Notwendigkeit einer europäischen Harmonisierung zu verneinen.

Im Rahmen einer Konferenz am 12.7.2016 in Brüssel sollen dabei grundsätz­liche Handlungsoptionen im Bereich des Insolvenzrechts mit europäischen Exper­ten diskutiert werden.

Der Deutsche Bundestag bittet die Europäische Kommission, bei der Ausgestal­tung ihres Rechtssetzungsvorschlages folgende Gesichtspunkte zu beachten:

1.  Aufgrund der deutlichen Divergenz nationaler Insolvenzregime und der Einbet­tung in jeweils spezifische nationale Rechtskonzepte sollte der avisierte Legislativvorschlag lediglich einen groben Rahmen zur Ausfüllung durch die Mitglied­staaten enthalten. Dabei sollte sie sich von der Best Practice der einzelnen Mitgliedstaaten leiten lassen und ein besonderes Augenmerk auf das in Artikel 5 des Vertrags über die Europäische Union geregelte Verfahren legen.

2.  Innerhalb dieses weiten Rahmens sollte die Europäische Kommission zunächst Mindestanforderungen an das eingesetzte Justizpersonal stellen. Dabei sollte den Mitgliedstaaten aufgegeben werden, für eine ausreichende wirtschaftswissen­schaftliche (Weiter-)Bildung des mit Insolvenzverfahren betrauten Personals zu sorgen und sicherzustellen, dass die Abwicklung von Insolvenzverfahren nicht nur eine untergeordnete Tätigkeit darstellt.

3.  Die Verteilung der im Rahmen eines regulären Insolvenzverfahrens verfüg­baren Masse sollte dem Gleichbehandlungsgrundsatz folgen und deshalb ohne Ansehung des Gläubigers stattfinden. Insbesondere sollte es keine Vorrechte für staatliche Gläubiger geben, und Arbeitnehmer sollten durch Maßnahmen außerhalb des Insolvenzrechts geschützt sein, zB durch Insolvenzgeld nach der Richtlinie 2008/94/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22.10.2008 über den Schutz der Arbeitnehmer bei Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers.

4.  Eine Restschuldbefreiung als notwendige Voraussetzung für einen zweiten Start einer natürlichen Person sollte unterschiedslos Unternehmern und Verbrauchern offen stehen. Auch sollte die grenzüberschreitende Information über Insolvenz-verfahren und dafür relevante Fragen, zB über Berufsverbote, weiter verbessert werden.

5.  Das avisierte vor-insolvenzliche Verfahren sollte vor allem das Ziel verfolgen, sa­nierungsfähige Unternehmen auf deren Initiative hin effizient von finanziellen Schwierigkeiten zu befreien. Wer den Schuldner in dieser Phase sei es als Liefe­rant oder Darlehensgeber unterstützt, sollte nach den Prinzipien des Sanierungs­privilegs bezüglich im Laufe des Verfahrens neu gewährter Darlehen vor Anfech­tung geschützt sein. Auf Antrag sollte es zudem dem Gericht möglich sein, im Falle von und zum Schutze vor Akkordstörern auch ein auf wenige Monate be­fristetes Moratorium zu verhängen, welches jedoch lediglich die Verfahrensbe­teiligten treffen darf.

6.  Deshalb sollte ein vor-insolvenzliches Verfahren zunächst unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfinden, da die Herstellung von Öffentlichkeit die unterneh­merischen Werte zerstört, die es zu erhalten gilt. Dieses Verfahren sollte in einem festgelegten, jedoch flexiblen Rahmen durchgeführt werden, welcher sich an dem in Deutschland bewährten Insolvenzplanverfahren (§§ 217ff. InsO) orien­tiert.

7.  Um etwaige Kosten zu minimieren, sollte erst dann eine Beteiligung eines Ge­richts notwendig sein, wenn in Rechte der Gläubiger eingegriffen wird oder einer der betroffenen Gläubiger dies beantragt.

8.  Für die Durchführung und Koordinierung dieses Verfahrens sollte dem Schuld­ner lediglich auf Antrag durch das gegebenenfalls später zur Entscheidung beru­fene Gericht ein erfahrener und unabhängiger Berater oder Moderator zur Seite gestellt werden. Dieser sollte sicherstellen, dass die Gläubiger durch das Verfahren nicht geschädigt bzw. die ggf. gegenläufigen Interessen der Beteiligten zusam­mengeführt werden. Dabei sollte die Europäische Kommission für dessen Befä­higung nur grundlegende Voraussetzungen wie den Nachweis wirtschaftlicher, juristischer und Konflikt-moderierender Kenntnisse festlegen, im Übrigen aber die Ausgestaltung der Anforderungen an die Qualifikation der Berater bzw. der Moderatoren den Mitgliedstaaten überlassen.

9.  Im Fall eines Antrags auf gerichtliche Überprüfung des Restrukturierungsplanes sollte nur dann eine gerichtliche Zustimmung zu dem vorgelegten Restrukturierungsplan erteilt werden, wenn

a)  zum Zeitpunkt der Planerstellung ein bestimmter, der Zahlungsunfähigkeit vorgelagerter, aber immer noch deutlich krisenindizierender Zustand vorliegt, der geeignet ist, die Ertragskraft des Unternehmens nachhaltig zu gefährden, und

b) der dem Plan widersprechende Gläubiger nicht finanziell schlechter gestellt würde als ohne Restrukturierungsplan.

Dabei ist in jedem Falle sicherzustellen, dass die für eine Verfahrenseinleitung notwendigen Bewertungen in ganz Europa nach einheitlichen Regeln und Bewer­tungsmaßstäben vorgenommen werden.

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